Charakteristika von Dorfnamen
A) Inoffiziellen Personenamen
Der Schreiner H. Nießen, mittlerweile verstorben, unverheiratet und kinderlos, war im ganzen Dorf unter dem inoffiziellen Personennamen „Beessel“ (=Beitel) bekannt.
Beessel war ein alternativen Namen für die Person mit dem gesetzlichen Namen H. Nießen, der diese Person als Schreiner kenntlich machte.
Pitgen ist eine Variante des Rufnamens Peter. In den Quellen werden die Rufnamen Pitgen- oder Petergen- oder Peter Wilden für dieselbe Person gebraucht. Diese Variationen treten im gesetzlichen Namen auf.
Anders ist es bei den Namen Bottertines und Prüßje. Diese Namen sind inoffizielle Personennamen. Sie sind keine Varianten von Ruf oder Familiennamen, sondern alternative Namen, die der Person zugeschrieben wurden. Bottertines stand im Sprachgebrauch für Martin Wilden. Man sprach nicht von Martin Wilden dem Bottertines. Ähnlich bei Hubert Wilden. Hubert Wilden war das Prüßje, weil er wahrscheinlich das Preußentum schätzte. Der Name Prüßje stellte hier den inoffiziellen Namen für Hubert Wilden dar. Man sprach von "demm Prüßje" und nicht von Hubert Wilden dem Prüßje.
Diese Namen sind in diesem Stadium keine Dorfnamen sondern inoffizielle Personennamen einer Person, die im weiteren zu einem Dorfnamen werden können.
Die Gewohnheit inoffizielle Personennamen zu vergeben führt mitunter zu kuriosen Ergebnissen. Auch bei den daraus resultierenden Dorfnamen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass mitunter Spottlust und Schalk die Antriebe für eine bestimmte Namensgebung waren. Doch das möge der Leser selbst beurteilen.1
B) Informelle Bezeichner für eine Personengruppe
Wird der inoffizielle Personennamen, wie im Fall Pitjen gezeigt, auf folgende Generatonen übertragen, so wird er zu einem Dorfnamen; Lennertz würde von einem "Familiären Eigennamen" sprechen.
Das wesentliche Element der Dorfnamen ist einen bestimmten Verwandtschaftsverband, eine Sippe, zu umreissen.
In Lammersdorf bilden die Wildens die größte Familiennamengruppe. Deswegen ist es erklärlich, dass in diesem Namensfeld eine größere Zahl von Dorfnamen existiert, z.B. die Wilden-Pitgen, die Wilden - Theissen, die Wilden-Kröttjes, die Wilden - Bottertinesse, u.a.
Informell ist der Dorfname insoweit als er bestimmte Namensfelder in kleinere Einheiten (Sippen) zerlegt.
Wie in A) gezeigt, haben Dorfnamen häufig ihren Ursprung in der charakteristischen Bezeichnung einer meist männlichen Anfangsperson, den die Nachbarn den folgenden Generationen zuschrieben.
Der Fall "Chrestendrügde" gibt als Ausgangsfamilie eine Ehepaar Christian Linzenich und Gertrud Genter an. Der Name Chrestendrügde wurde von den Nachbarn nun nicht dem Christian und seiner Frau Gertrud zugeschrieben, sondern dem aus der Ehe resultierenden Verwandtschaftsverband, den Chrestendrügde.
C) Dorfname - Hausname
Wohnen Kinder einer Sippe über Generationen im gleichen Haus, so haftet der Dorfname als Hausname an diesem Anwesen. Bottertinesse bedeutet in diesem Fall einmal die Sippe, zum anderen den Wohnplatz von Menschen aus diesem Verwandtschaftsverband. Vergleichbar ist die Bezeichnung "das Haus Hohenzollern", die einmal einen Verwandtschaftsverband zu anderen ein bestimmtes Gebäude, die Burg Hohenzollern, meint.
Dabei kann der Familienname der in einem bestimmten Haus Lebenden, wie das Beispiel Bottertinesse zeigt, wechseln. Wesentlich ist, dass der verwandtschaftliche Bezug erhalten bleibt.
Häufig wechselten in Lammersdorf jedoch Häuser den Besitzer und Familien lebten nur eine Generation in einem bestimmten Haus. Ein Beispiel war Ludwig Wilden, genannt Wickes. In diesem Fall trat der Hausname gegenüber dem Dorfnamen zurück.
Siehe auch Anhang: Scholls, Mänesse
C) Konkuriende Dorfnamen
Betrachtet man den genealogischen Gang der Dorfnamen, so folgen sie nicht konsequent einer Vaterlinie wie es die gesetzlichen Namen tun. Im Beispiel Bottertinesse wo ein Strauch eine Tochter von Martin Wilden heiratete setzt sich der Name Bottertinnes gegenüber dem Dorfnamen des Strauchs, Börbescheele, durch. Ursächlich ist in diesem Beispiel ist die Dominanz des Hausnamens.
Eine Vorbemerkung zu einem weiteren Beispiel:
Der Katalog der gebräuchlichen Rufnamen in einem katholischen Dorf war im 19.Jh. ziemlich dünn. Häufige Namen bei Frauen waren Anna Catharina, Anna Maria, Gertrud, Elisabeth, bei den Männern Johann, Joseph, Matthias, Arnold, Thomas.
Dadurch waren gleiche gesetzliche Namen kein seltenes Phänomen.
Der Dorfnamen bildete die Möglichkeit einer Unterscheidung von gesetzlich gleichnamigen Personen. In diesen Fällen hatte der Dorfname ein besonderes Gewicht.
Ein Beispiel (siehe Prüßjes, Wickesse):
1877 und 1878 gab es zwei in diesen Jahren geborenen Mädchen mit Namen Anna Margaretha Wilden. Als Frauen war die eine unter den Dorfnamen „Wickesse Ann“, die andere unter dem Dorfnamen „Prüßjes Ann“ bekannt und somit unterscheidbar.
In den Familien der beiden Frauen setzte sich bei den Kindern der Dorfname der Frauen gegenüber dem der Männer durch. Ein Grund könnte in der Präsenz der Dorfnamen der Frauen in der Dorfgesellschaft sein.
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1) Ein Zitat aus den Dekanatprotokollen des Landkreises Monschau von 1830: "... weil die Heiraten sich von jeher ausschließlich auf den Stammort ... beschränken, so wären große Familiengesellschaften entstanden. Wenn nun von Gleichnamigen Meldung zu geschehen ist, man sich manchmal allerlei unangenehmer sogar lächerlicher Beinamen ... bedienen muß, um diesselben voneinander zu unterscheiden...." aus: Kath. Pfarrgemeinde Lammersdorf einst und jetzt; Josef Kreitz, Herbert Arens.
Die Dekanatsversammlung schlug deshalb vor, statt lächerlicher Dorfnamen Heiligennamen zu verwenden, damit das Dorf auf diese Weise eine große Zahl von Schutzheiligen im Himmel aufbieten könne.